Über einem Holztor steht "Wolf-Canyon-Town", dahinter wehen die amerikanische und die Konföderiertenflagge. Neben dem Sheriff’s Office liegt der Knast, gegenüber davon der Saloon. Wir befinden uns in Regensburg, das ist, wie wir Hobby-Geografen wissen, in Bayern. Eigentlich. Das interessiert hier aber niemanden. Man sei in Texas, behaupten die Leute hier. Oder Oklahoma, das könne man sich aussuchen. Die Kanone unter den beiden Fahnen zielt auf das Eingangstor, als wollte sie drohen: Sollte die Realität nur einen Schritt zu nahe kommen, wird geballert.
"Howdy", grüßt man Cowboy-Style in den Saloon hinein. "Ich hau di glei", schallt es zurück. Um einen Tisch sitzen sechs Männer unter breitkrempigen Cowboyhüten. Die meisten tragen Revolver am Gürtel, es wird divers geraucht: Pfeife, E- und herkömmliche Zigaretten. An den holzverkleideten Wänden hängen Gewehre, Pistolen, Messer, da sind Fotos von Native Americans, von der Decke baumeln Sattel, ein Schild auf der Theke versucht es mit Humor: "Spül mir das Lied vom Tod". Die Männer sind Mitglieder des Cowboy-Clubs Regensburg 1960 e. V.
Deutsche Cowboy-Clubs wurden ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts zu großen Teilen mit der Absicht gegründet, sich über Kontakte nach Amerika die Ausreise in die Neue Welt zu ermöglichen. Man lernte gemeinsam Englisch, informierte sich über Kultur und Geschichte des Landes. Weil oft nichts aus der Ausreise wurde, entstand mit der Zeit eine eigene Kultur, in deren Mittelpunkt die Faszination für das Amerika des 19. Jahrhunderts steht. Diese Faszination ist hier konserviert. Bayern und die Cowboys, das passt doch überraschend gut zusammen. Findet auch Markus Söder, der sich beim 111. Jubiläum des ältesten Cowboy-Clubs Europas in München huttragend zu den Worten hinreißen ließ: Cowboys und Bayern seien beide "freiheitsliebend, haben einen Drang nach Selbstständigkeit" und gingen ihrer eigenen Wege.
So viel zur Romantisierung Amerikas. Wer aktuell an die Vereinigten Staaten denkt, fühlt sich wohl weniger fasziniert. Das amerikanische Freiheitsversprechen hat einen apokalyptischen Anstrich bekommen. Plötzlich ist wirklich alles möglich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Zum Beispiel, dass die USA raus aus der Nato wollen. Oder dass die älteste Demokratie sich vor unseren Augen in die jüngste Autokratie der Welt verwandelt.
Aber muss man es denn wirklich so unfassbar düster sehen?
Auf der Website des Cowboy-Clubs Regensburg 1960 begrüßen einen die Worte "The good old times". Und "Welcome to 1855".
Spricht man die Männer im Saloon darauf an, geht das Geschwärme los. Man verbinde diese gute alte Zeit mit dem großen Freiheitsgefühl. "Wie in der Marlboro-Werbung", sagt Bernhard Aumeier, Cowboyname Ben, seit 40 Jahren im Verein. Am Lagerfeuer sitzen, sich in der Abendstimmung eine Zigarette anzünden, das Pferd grast daneben. "Diese Romantik."
Die Gegenwart sei so eng geworden, sagt Bastian Sykora, Cowboyname El Cattivo, der Halunke, Vorsitzender des Clubs. Termin jage Termin, wenn man E-Mails nicht sofort beantwortet, bekomme man panische Anrufe. Und dann die Diskussionen im Internet – die seien so ausufernd, wer wisse da noch, worum es überhaupt gehe? Wenn er durch das Tor aufs Clubgelände laufe, lasse er das alles draußen, sagt Sykora. Er verbinde das Cowboysein mit der Sehnsucht nach einem unkomplizierten, freien Leben.
"Wie man sich Cowboys vorstellt, nehmen wir auch kein Blatt vor den Mund und sagen, wenn uns etwas nicht passt", sagt Alexander Baron von Vietinghoff-Scheel, Cowboyname Bobby. "Dann wird das geklärt."
"Es ist eine andere Welt", sagt Benedict Sickinger, hier scheinen die Cowboynamen knapp geworden zu sein, auch seiner ist Ben.
"Ich komm hier rein, und mein Herz rast nicht mehr so", sagt Aumeier.
"Wir haben Uhren, aber die interessieren uns nicht", sagt Hermann Sickinger, Benedicts Vater, Cowboyname Hermann, aber englisch ausgesprochen.
"Was im Internet los ist, spielt hier keine Rolle, Technik bleibt draußen", sagt Reinhard Weber, Cowboyname Tex, der Sheriff der Runde.
"Eigentlich ist das eine Art Parallelgesellschaft", sagt Aumeier.
Der Cowboy ist nicht nur für die Regensburger Revolverhelden eine Sehnsuchtsfigur. Auch in der Popkultur erlebt er ein Revival. Beyoncé veröffentlichte im vergangenen Jahr das Country-inspirierte Album Cowboy Carter. Auf Konzerten von Taylor Swift oder Harry Styles ist man umgeben von pinkfarbenen Cowboyhüten, Großstadtfüße stecken zunehmend in Cowboystiefeln. Und auch Lana Del Rey hat angekündigt, dass sich ihr nächstes Album in die Countrytradition einordnen werde. Dazu kommen Serien wie das vor allem bei Republikanern und Feuilletonisten beliebte Yellowstone mit Kevin Costner, das vom Ranchleben unter Cowboys handelt, die mit Gewalt das verteidigen, was sie für das Ihre halten.
Diese Sehnsucht nach einem vermeintlich leichter zu verstehenden Leben kann man für schlichten Eskapismus halten: Der Alltag ist hart, wer wünscht sich nicht, manchmal stoisch in ein Feuer zu starren? Aber vor allem scheint das Versprechen von Countrymusik, genau wie das vom Cowboyleben, Ehrlichkeit zu sein. Es geht um ehrliche, echte Probleme, um alltägliches Leid ganz "normaler" Menschen, die sich in ihren Jobs die Seele wund schuften – nicht um abgehobenen Diskursquatsch, den niemand mehr nachvollziehen kann oder will.
Die Cowboys haben mehr Lust auf das, was im Internet gerade als personal growth angesagt ist, die Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten und der Persönlichkeit. Würden sie natürlich nie so nennen, sie sagen dazu: Messerwerfen. Im Hof stehen zwei Holzbretter mit aufgemalter Zielscheibe. Früher habe er Messerauftritte gemacht, sagt Bernhard Aumeier, während er eine Klinge in der Hand wiegt. Seine Augen liegen im Schatten des Cowboyhuts, um seinen Kragen liegt die sogenannte Bolo-Tie, eine Westernkrawatte aus Leder, die von einer Brosche am Hals zusammengehalten wird. Damals habe er Menschen vor die Zielscheibe gestellt und die Messer außen rum als Silhouette ins Holz geworfen. Wochenlang habe er darauf hintrainiert, mit Schaufensterpuppen vor dem "Messerbrettl". Jetzt schleudert er das Messer auf das ein paar Meter entfernte Ziel; statt stecken zu bleiben, prallt es ab, Holzsplitter spritzen aus der Scheibe. "Das war damals ganz schön leichtsinnig."
Dann lieber wieder rein zu den anderen, bevor es hier gefährlich wird. Frage in die Runde: Kann man das heute noch, Amerika so romantisch verklärt abfeiern?
"Die Generation Z reist wie blöd nach Thailand", sagt Bastian Sykora. "Dabei ist das eine Autokratie, es gibt keine freie Presse, nach moralischen Standpunkten ein schlimmes Land." Er zieht an seiner E-Zigarette. "Ich will damit sagen: Ich kann ein Land lieben, auch wenn die politische Führung nicht meinem Sinn entspricht."
"Ich persönlich finde viel an Amerika schlecht", sagt Benedict Sickinger. "Aber das, was wir romantisch zelebrieren, ist es wert, erhalten zu werden." Ein Schlückchen vom Hellen. "In der Zeit ging es noch um Menschlichkeit, die Leute haben zusammengehalten, das waren Dorfstrukturen."
"Auf unserem Logo ist die Südstaatenflagge drauf", sagt Bernhard Aumeier. "Aber da steht auch: "Peace and friendship". Das heißt, dass alle willkommen sind, Nordstaatler, Südstaatler, Indianer, Trapper."
"Die Südstaatenflagge steht bei uns in einem historischen Kontext", sagt Sykora. "Das heißt nicht, dass wir gutheißen, was damals passiert ist, sondern das gehört geschichtlich dazu."
"Wir picken uns das aus der Geschichte heraus, was uns gefällt", sagt Sickinger. "Auch wenn vieles schlimm war – das, was gut gewesen ist, kannst du dir rausziehen."
Dass ausgerechnet die Südstaatenflagge das Gute sein soll, das man sich aus der amerikanischen Geschichte ziehen möchte, ist einerseits irritierend. Schließlich ist sie untrennbar mit den Menschen verknüpft, die für ihr Recht, Sklaven zu besitzen, in einen Bürgerkrieg zogen. Andererseits: Haben wir unser Bild von Amerika nicht ähnlich verbogen wie die Regensburger Cowboys? Vielleicht fand man hierzulande die amerikanische Kultur, die Burger, die Jeans, die Kaugummis schon immer zu cool, um mal genauer hinzuschauen, was da alles nicht so cool lief. Amerika, das waren die Guten. Und damit verbunden war immer auch die zarte Hoffnung der Nachkriegszeit: Weil unsere Freunde gut sind, können auch wir Deutschen wieder gut sein.
Wahrscheinlich war es deshalb so schmerzhaft, mit anschauen zu müssen, wie Donald Trump dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über den Mund fuhr, ihm unterstellte, er riskiere den dritten Weltkrieg, und J. D. Vance ihn anschnauzte, er solle sich endlich mal für die militärische Unterstützung der Amerikaner bedanken. Nicht nur weil das zwischenmenschlich etwas, äh, holprig war. Sondern weil es uns per Kopfnuss aus unserer eigenen verblendeten Version von Amerika geprügelt hat.
Möglicherweise ist es ja einfach so: Wenn man etwas so lieben möchte wie die Cowboys ihr inneres Amerika – egal was: ein Kunstwerk, ein Land, eine geschichtliche Epoche –, dann muss man es ein Stück weit verklären. Schaut man zu genau hin, findet man immer Gründe, die gegen eine Idealisierung sprechen. Der Künstler, der das bewunderte Werk geschaffen hat, ist vielleicht ein Rassist, in dem geliebten Land leben Menschen, die allesamt neben guten auch schlechte Eigenschaften haben, und in der verehrten geschichtlichen Epoche ist wie zu jeder anderen Zeit viel Mist passiert.
Das beste Mittel gegen den Schock der vergangenen Wochen wäre es gewesen, an all der Popkultur und den Freiheitsmythen vorbeizugucken und unser eigenes, inneres Amerika hin und wieder mal mit der Realität der USA abzugleichen. Dann wäre man jetzt vielleicht nicht ganz so desillusioniert.